Eltern Kinder
Digitale Abhängigkeit: Wie Smartphones das kindliche Spielverhalten verändern
2024-12-28
Seit der Lockdown-Zeit beobachtet der Kinder- und Jugendpsychiater Oliver Dierssen, dass die Mediennutzung von Kindern zunimmt und ihr spielerisches Verhalten sich grundlegend verändert hat. In diesem Interview erklärt er, welche Auswirkungen digitale Medien auf die Entwicklung junger Menschen haben und wie Eltern und Gesetzgeber darauf reagieren können.
Eine neue Welt erschließen: Der Kampf gegen die Überstimulierung durch digitale Spiele
Die Transformation des Spielverhaltens
Im Kontext der digitalen Revolution sind die Spielräume für Kinder gewandelt. Früher waren es Ritterburgen, Autos und Dinosaurier, die die Fantasie anregten. Heute dominieren Smartphones und Tablets den Alltag vieler Grundschüler. Dr. Oliver Dierssen, ein renommierter Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, berichtet von einer signifikanten Veränderung in seinem Praxisalltag. Viele Kinder kommen bereits im Wartezimmer mit ihren Geräten beschäftigt an und zeigen wenig Interesse an traditionellen Spielsachen. Diese Dynamik ist nicht nur während der Pandemie entstanden; sie hat sich über Jahre hinweg entwickelt. Die Frage stellt sich, ob die aktuelle Generation mit dem Handy aufgewachsen ist und was dies für ihre psychische Entwicklung bedeutet.Der Einfluss von elektronischen Medien
Elektronische Medien haben einen starken Einfluss auf die interaktiven Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Im Gespräch mit Dierssen wird deutlich, dass Themen wie Social Media bei Mädchen und Computerspiele bei Jungen häufiger auftreten. Diese Tendenzen spiegeln sich auch in den Beratungssitzungen wider. Die Herausforderung liegt darin, die Balance zwischen technologischer Nutzung und gesundem Spielverhalten zu finden. Elektronische Geräte bieten eine Fülle von Möglichkeiten, aber sie können auch zu einem Mangel an physischer Aktivität und sozialen Interaktionen führen. Es ist entscheidend, dass Eltern diese Aspekte verstehen und aktiv begleiten.Belohnungssysteme und deren Auswirkungen
Ein spezifisches Beispiel für die Auswirkungen von digitalen Medien ist das populäre Spiel „Brawl Stars“. Dieses Spiel nutzt raffinierte Belohnungssysteme, um die Aufmerksamkeit der Spieler zu fesseln. Durch visuelle Effekte, Klangsignale und ständige Reize lernen Kinder, dass kurze Aufmerksamkeitsphasen sofortige Belohnungen bringen. Dies führt zu einer Neuroplastizität, die längere Lernprozesse erschwert. Das Gehirn gewöhnt sich an eine ständige Reizüberflutung, was negative Konsequenzen für kognitive Prozesse haben kann. Es ist daher wichtig, dass Eltern und Pädagogen sich bewusst machen, welche langfristigen Auswirkungen solche Spiele auf die geistige Entwicklung haben können.Die Verantwortung von Eltern und Gesetzgebern
Eltern tragen eine große Verantwortung, die Mediennutzung ihrer Kinder zu kontrollieren und sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Eine praktische Empfehlung von Dierssen ist, dass Eltern selbst solche Spiele wie „Brawl Stars“ spielen sollten, um deren Mechanismen besser zu verstehen. Dies bietet ihnen wertvolle Erkenntnisse darüber, welche emotionalen und psychologischen Effekte diese Spiele haben. Auch die Gesetzgeber und Unternehmen müssen hier eine Rolle spielen. Es gibt ethische Verpflichtungen zur Selbstregulierung, doch oft werden wissenschaftliche Erkenntnisse ausgenutzt, um Kinder an die Spiele zu binden. Regulierungsmaßnahmen, wie Altersbegrenzungen oder strenge Inhaltskontrolle, könnten helfen, die Gefahren zu minimieren. Ein Beispiel dafür ist der Beschluss in Australien, Social Media erst ab 16 Jahren zu erlauben, obwohl dies schwer durchsetzbar ist.Verantwortungsvoller Spielentwurf
Ein verantwortungsvoller Spielentwurf könnte sowohl den Kindern als auch den Firmen zugutekommen. Spiele wie „Fortnite“ fördern sozialen Zusammenhalt, während „Minecraft“ Kreativität und Freiheit im Vordergrund stellt. Diese Spiele bieten Plattformen, auf denen Kinder gemeinsam bauen und Projekte umsetzen können. Der Schlüssel liegt darin, die Belohnungserwartungen zu reduzieren und stattdessen die Fantasie und Kreativität zu schüren. Ein gut gestaltetes Spiel sollte den Kindern Raum geben, ihre eigenen Geschichten zu erfinden und komplexe Probleme zu lösen, ohne ständig auf unmittelbare Belohnungen angewiesen zu sein.Lebens- und Arbeitsbedingungen als Rahmenbedingung
Um Eltern dabei zu unterstützen, ihre Kinder besser im Umgang mit digitalen Medien zu schulen, müssen auch Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Viele Eltern sind unter hohem Stress und haben wenig Zeit für ihre Kinder. Es ist notwendig, gesellschaftliche Strukturen anzupassen, sodass Eltern Zeit und Raum haben, sich intensiver um die Entwicklung ihrer Kinder zu kümmern. Ein solcher Wandel würde nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern zugutekommen. Letztlich geht es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der Kinder wieder mehr Platz zum Spielen und Entdecken haben.