Fachleute schätzen, dass bis zu 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland unter psychischen Erkrankungen leiden, wovon etwa die Hälfte Kinder hat. Diese Situation stellt ein erhebliches Risiko für die geistige Gesundheit der Kinder dar. Besonders kritisch sind die ersten drei Lebensjahre, in denen eine psychische Erkrankung der Eltern negativ auf die Entwicklung der Kinder wirken kann. Die Schwere und der Verlauf der elterlichen Krankheit spielen dabei eine entscheidende Rolle.
In den entscheidenden ersten Lebensjahren können psychische Erkrankungen der Eltern das emotionale und soziale Wohlbefinden der Kinder erheblich beeinträchtigen. Fachärztin Rieke Oelkers-Ax vom Familientherapeutischen Zentrum Neckargemünd betont die Notwendigkeit frühzeitiger Interventionen. Psychische Erkrankungen der Eltern erhöhen das Risiko, dass auch die Kinder psychische Probleme entwickeln. Es ist daher wichtig, dass diese Kinder frühzeitig Unterstützung erhalten, um ihre psychische Gesundheit zu bewahren und ihre Widerstandskraft zu stärken.
Kinder psychisch kranker Eltern sind besonders gefährdet, insbesondere wenn beide Elternteile betroffen sind. So haben Kinder eines depressiven Elternteils etwa dreimal so großes Risiko, selbst eine Depression zu entwickeln, verglichen mit Kindern psychisch gesunder Eltern. Bei beiden Elternteilen steigt dieses Risiko sogar auf etwa 70 Prozent. Ähnlich hoch sind die Wahrscheinlichkeiten bei Schizophrenie. Ein weiterer Faktor ist, dass psychisch kranke Eltern möglicherweise nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse ihrer Kinder angemessen zu erkennen oder zu erfüllen. Dies kann zu einem komplexen Zusammenspiel von genetischen und äußeren Faktoren führen, das die Entwicklung anderer psychischer Störungen begünstigt.
Um die psychische Gesundheit der Kinder zu schützen, ist es entscheidend, dass sie lernen, dass sie nicht für die Situation verantwortlich sind und dass die Erkrankung ihrer Eltern etwas „von außen“ ist. Fachliche Hilfe ist oft notwendig, um diesen Prozess zu unterstützen. Eine wichtige Rolle spielen hier Kinder- und Jugendpsychologen sowie -psychiater, die spezialisierte Behandlungsangebote bereitstellen können. Diese Angebote reichen von individuellen Therapien über Gruppentherapien bis hin zu multifamilienorientierten Ansätzen.
Die Multifamilientherapie ist eine effektive Methode, bei der mehrere Familien gleichzeitig in einer Gruppensitzung teilnehmen. Hier werden verschiedene therapeutische Elemente kombiniert, um den Bedürfnissen und Fähigkeiten aller Beteiligten gerecht zu werden. Die gemeinsame Arbeit regt den Austausch zwischen den Familien an, was Mut macht und wertvolle Tipps für den Umgang mit eigenen Problemen liefert. In vielen Fällen finden diese Therapien ambulant in Tageskliniken statt, sodass die Familien abends in ihre vertraute Umgebung zurückkehren können und die neuen Strategien direkt im Alltag ausprobieren. Bei schweren Erkrankungen kann jedoch auch eine stationäre Behandlung der Eltern erforderlich sein, bevor eine gemeinsame Familientherapie in Angriff genommen wird. Trotz des hohen Bedarfs gibt es oft einen Mangel an Psychotherapeuten, was zu langen Wartezeiten führt.