Die Erfahrungen von Familien mit affektiv dysregulierten Kindern sind oft geprägt von Verzweiflung und Fehlinterpretationen. Zwei Fallbeispiele illustrieren die Schwierigkeiten, denen diese Kinder ausgesetzt sind. Anna, ein siebenjähriges Mädchen, erlebt häufige Wutausbrüche, die ihr und ihrer Familie große Belastung bereiten. Ben, vier Jahre alt, beschreibt seine inneren Konflikte durch einen „Wutzwerg“, der ihn beherrscht. Diese Beispiele verdeutlichen, dass es sich hierbei nicht um ungezogene oder verwöhnte Kinder handelt, sondern um eine ernsthafte psychische Herausforderung namens affektive Dysregulation. Diese Störung wird zunehmend als Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD) klassifiziert und erfordert spezialisierte Diagnostik und Behandlung.
In Deutschland ist die Erkenntnis dieser Störung noch relativ neu. Die affektive Dysregulation bezieht sich auf aggressive Affekte der Frustration, die unkontrolliert auftreten. Die beiden genannten Fälle zeigen, wie stark die Anlässe für solche Ausbrüche oft überbewertet werden. Anna reagiert zum Beispiel auf Kleinigkeiten mit heftigen Emotionen, während Ben in seiner Kita andere Kinder angreift. Nach den Ausrastern fühlen sich beide Kinder schuldig und bedauern ihre Handlungen. Dies unterstreicht, dass sie sich tatsächlich besser steuern möchten, aber aufgrund ihrer Symptome nicht in der Lage dazu sind.
Die Diagnose basiert hauptsächlich auf klinischen Gesprächen mit Eltern und Kindern, da es keine spezifischen Tests gibt. Besonders wichtig ist es, auf die Entschuldigungen zu achten, die affektiv dysregulierte Kinder nach ihren Wutanfällen aussprechen. Dies zeigt, dass sie sich ihres Verhaltens bewusst sind und es ändern möchten. Häufige Wutanfälle ohne erkennbaren Anlass sind ebenfalls ein zentrales Merkmal. Experten richten ihre Aufmerksamkeit darauf, ob das Kind besonders empfindlich auf „Neins“ der Welt reagiert, was bedeutet, dass es Schwierigkeiten hat, mit alltäglichen Ablehnungen umzugehen. Auch hypersensible Reaktionen auf Textilien, Geräusche oder Gerüche können Hinweise auf DMDD sein.
Die Behandlung beginnt stets mit einer gründlichen Aufklärung, um Schuldzuweisungen abzubauen. Es ist entscheidend, gemeinsam mit dem Kind einen Namen für dessen innere Kraft zu finden, die es überwältigt. Eltern werden ermutigt, eine neue Haltung einzunehmen, indem sie anerkennen, dass ihr Kind wirklich leidet, anstatt es zur Selbstkontrolle zu drängen. In schweren Fällen kann eine medikamentöse Therapie notwendig sein, um den Kindern die täglichen Niederlagen durch Wutanfälle zu ersparen. Ziel ist es immer, Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten und den Kindern zu helfen, mit den vielen „Neins“ in ihrem Leben umzugehen.
Die langfristige Prognose für affektiv dysregulierte Kinder ist vielversprechend, wenn sie frühzeitig und angemessen behandelt werden. Viele Jugendliche lernen, ihre Emotionen besser zu verstehen und zu managen. Sie entwickeln eine Expertise für ihre eigene Psyche und finden Wege, schwierige Situationen zu meistern. Es ist entscheidend, diese Kinder nicht als böswillig oder disziplinlos zu betrachten, da dies ihre Situation nur verschlimmern würde. Stattdessen sollten sie als Menschen mit besonderen Bedürfnissen wahrgenommen werden, die Unterstützung und Verständnis verdienen.