In einer Zeit des Wandelns und Wandels wird der Kontaktabbruch zwischen Generationen zum Symbol für komplexe emotionale Herausforderungen – ein Thema, das längst aus dem Tabubereich getreten ist.
In Deutschland haben Studien ergeben, dass sieben Prozent der Erwachsenen in einem bestimmten Lebensabschnitt keinen Kontakt mehr zu ihrem biologischen Vater pflegen, während bei zwei Prozent diesbezüglich auch die Mutter nicht mehr erreicht wird. Diese Zahlen verbergen menschliche Geschichten wie diejenige von Svenja (Name geändert). Ihre letzte Begegnung mit ihrer Mutter endete in einem Streit über scheinbar banale Themen wie Frisuren und Wohnungsputz. Doch hinter diesen oberflächlichen Diskussionen lag ein tiefer Konflikt: die Ablehnung ihrer Lebensweise durch ihre Mutter.
Svenjas Fall zeigt deutlich, dass der Kontaktabbruch oft weniger eine spontane Entscheidung als vielmehr das Ergebnis jahrelanger Spannungen ist. Die Psychologin Lucy Blake betont in diesem Zusammenhang, dass sich zu entfremden manchmal die gesündeste Form der Selbstfürsorge darstellen kann.
Die Gründe für solche Abbrüche sind vielfältig. Während extreme Situationen wie körperlicher Missbrauch oder Suchtprobleme offensichtliche Auslöser darstellen, können auch subtilere Formen des Drucks langfristig zerstörerisch wirken. So berichtet Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, dass viele Menschen weiterhin Kontakt halten, obwohl sie dabei leiden. Dies sei oft ein Zeichen dafür, dass sie noch nicht gelernt hätten, gesunde Grenzen zu setzen.
Emotionale Missachtung, unterschiedliche Wertvorstellungen sowie narzisstisches Verhalten der Eltern werden häufig als Hauptursachen genannt. Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin aus München, spricht hierbei von „unauflöslichen Problemen“, die auf narzisstische Strukturen zurückzuführen seien. Insbesondere wenn Kinder stets abgewertet oder nicht akzeptiert werden, entwickelt sich ein Muster, das schwer zu brechen ist.
Laut Forschern gibt es bestimmte Phasen im Leben, in denen ein Kontaktabbruch wahrscheinlicher wird. Die Trennung der Eltern, der Übergang ins Erwachsenenalter oder sogar die Geburt eigener Kinder können solche Wendepunkte sein. In England zeigte sich, dass die meisten Kinder zwischen 20 und 35 Jahren den Entschluss fassen, den Kontakt zu beenden. Interessanterweise tritt dieser Prozess bei Frauen tendenziell etwas früher ein als bei Männern.
Die Pairfam-Studie ergänzt diese Erkenntnisse durch die Feststellung, dass nach dem Tod eines Elternteils auch der Kontakt zum anderen Elternteil gebrochen werden kann. Dies illustriert die Komplexität familiärer Bindungen und deren Anfälligkeit gegenüber äußeren Ereignissen.
Trotz aller Schwierigkeiten sollte nach Ansicht von Beratern wie Ritzer-Sachs zunächst versucht werden, eine Versöhnung herbeizuführen. „Manchmal stecken wir in dämlichen Streits, die nur gelöst werden müssen“, erklärt er. Dennoch ist klar, dass jeder Fall individuell ist und keine allgemeine Lösung existiert. Selbsthilfegruppen bieten in solchen Situationen Unterstützung an, indem sie Ratschläge geben, wie man mit besonderen Anlässen umgehen kann, etwa mit Feiertagen oder Familienfeiern.
Der Malteser Hilfsdienst empfiehlt beispielsweise, Briefe oder E-Mails zu verwenden, da diese weniger bedrängend wirken als ein unvermittelter Anruf. Gerade wenn Emotionen hochkochen, bietet sich dieser Weg als sanftere Alternative an. Auch Svenja hat diesen Weg eingeschlagen, ohne jedoch eine Reaktion zu erhalten. Heute akzeptiert sie, dass manche Brücken unwiderruflich geschlossen sind.