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Wie bewertet die deutsche Industrie die aktuelle Wirtschaftslage?
2024-12-01
Deutschlands größte Industrielobby wählt neuen Primus. Dies ist ein Anlass, ihre Stimmung und Interessenlage genauer zu untersuchen. Was fordert der BDI? Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) spielt eine wichtige Rolle in der politischen und wirtschaftlichen Diskussion in Deutschland. Mit mehr als 100.000 Mitgliedunternehmen aus 39 Branchenverbänden ist er ein wichtiger Akteur.
Am 25. November: Neuer Präsident der BDI
Am 25. November hielt der BDI seine Mitgliederversammlung ab und wählte Peter Leibinger, Aufsichtsratsvorsitzender des Maschinenbaukonzerns Trumpf SE + Co. KG, zum neuen Präsidenten ab 2025. Er folgt Siegfried Russwurm, der dem BDI seit 2021 vorgesessen hatte. Diese Veränderung bietet eine Gelegenheit, die Positionen und Interessen der größten deutschen Industrielobby zu betrachten. In ihren Unternehmen arbeiten 8 Millionen Beschäftigte.Die aktuelle Situation
Die aktuellen politischen und ökonomischen Entwicklungen machen den BDI besorgt. Das Ende der Ampel-Koalition und die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten verunsichern die deutschen Industriemanager. Die anhaltende Wirtschaftskrise und ein drohender Zollkrieg mit USA und China veranlassen den BDI, mehr Forschungsinvestitionen, eine “aktive Rohstoffstrategie” und Steuererleichterungen zu fordern.Stellungnahme zum Ende der Ampel-Koalition
Das Ende der Ampel-Koalition wird vom BDI als Unsicherheitsfaktor für Investitionsentscheidungen angesehen. Er fordert “realistische, kurzfristige Wachstumsimpulse” noch vor der Neuwahl. Die oberste Priorität der neuen Bundesregierung sollte “eine stärkere Wachstumsinitiative” sein. Eine Neujustierung der Regierungsarbeit soll dringend benötigte Reformen in Bereichen wie Infrastruktur, Bürokratieabbau und Digitalisierung vorantreiben.Zur Wahl von Donald Trump
Unter Trumps vorheriger Präsidentschaft haben die transatlantischen Beziehungen durch protektionistische Maßnahmen gelitten. Der BDI warnt davor, dass eine zweite Amtszeit Trumps die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa erneut belasten könnte, mit negativen Folgen für deutsche Exporteure. Europa soll unabhängiger von externen Einflüssen werden und zugleich auf eine engere Zusammenarbeit mit den USA hinarbeiten, um globale Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Seit 2021 sind die Exporte Deutschlands in die USA stark angestiegen. Von 121,98 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 157,95 Milliarden Euro im Jahr 2023. Unter US-Präsident Trump waren sie von 2017 bis 2019 leicht gestiegen und erst die Corona-Pandemie 2020 brachte einen Einbruch.BDI-Industriebericht 2024
Im BDI-Industriebericht 2024 wird die Industrie unter Druck gesehen, insbesondere durch hohe Energiepreise, globale Lieferkettenprobleme und zunehmende bürokratische Hürden. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ist im internationalen Vergleich gesunken. Der BDI fordert Maßnahmen, um den Standort zu stärken, wie Steuersenkungen, Investitionen in Forschung und Digitalisierung. Besonders alarmierend ist die sinkende Investitionsbereitschaft im Inland. Viele Unternehmen investieren lieber im Ausland aufgrund der unsicheren Rahmenbedingungen. In der Stahl- und Automobilbranche zeichnen sich präzedenzlose Werksschließungen ab. Der BDI setzt auf altbekannte angebotsorientierte Rezepte wie Steuersenkungen und Bürokratieabbau, aber die Nachfrage- und Investitionsschwäche im Inland wird damit nicht behoben.Rohstoffstrategie
Der BDI-Rohstoffkongress im November 2024 mit dem Motto “Mehr Rohstoffsouveränität wagen” drängt auf eine “resilientere” Rohstoffversorgung. Er fordert eine aktivere Rohstoffstrategie, die heimische Ressourcen erschließt und “strategische Partnerschaften” stärkt. Ein Monat zuvor vor dem BDI-Klimakongress fanden Proteste gegen den geplanten Lithiumabbau im serbischen Jadartal statt. Deutschland deckt derzeit fast 100 Prozent seines Bedarfs aus Importen. Auch in Deutschland sollen Vorkommen in Erzgebirge und Oberrheingraben erschlossen werden.BDI zu EU-Ausgleichszöllen gegenüber China
Der Verband begrüßt die Maßnahmen, aber warnt davor, dass sie nicht das Ende der Gespräche mit internationalen Partnern markieren sollten. Sie sollten als Druckmittel genutzt werden, um faire Handelsbedingungen zu schaffen. Als im September die Bundeswehr-Fregatte “Baden-Württemberg” durch die Taiwanstraße fuhr, erklärte Wolfgang Niedermark, dass die deutsche Industrie die Bundesregierung bei der Erhaltung der internationalen Ordnung unterstütze.Fazit: Never waste a good crisis?
Das dritte Jahr in Folge registriert der BDI eine schrumpfende Produktion im Industriesektor. Insgesamt wird für 2024 ein Minus von 3 Prozent erwartet, und eine Erholung im Jahr 2025 ist “nicht in Sicht”. Der bevorstehende Abbau von 11.000 Stellen bei Thyssenkrupp und die Auseinandersetzungen bei VW hängen mit der Rezession zusammen. Der BDI fordert mehr staatliche Investitionen, weniger Regulierungen, Steuersenkungen, ein Stillhalten der Gewerkschaften, freie Hand bei der Erschließung ausländischer Ressourcen und einen Drahtseilakt der Bundesregierung zwischen USA, China und EU. Eine Regierung Merz könnte der Industrie mit der Agenda 2030 einige Wünsche erfüllen, aber ob sie außenpolitisch besonnen genug agieren würde, ist fraglich.